Wilhelm Tell ist Ihnen sicher ein Begriff – Die Geschichte des Urner Armbrustschützen, welcher den Tyrannen Gessler ermordet, ist weit über die Kantons- und Landesgrenzen bekannt. Doch was hat es mit der Geschichte auf sich? Hat Tell wirklich gelebt, oder ist alles bloss eine Sage?
Die Bewohner der Talschaften Uri, Schwyz und Unterwalden (heute Obwalden und Nidwalden) waren im Besitz von König Albrecht. Die von ihm entsandten Reichsvögte Landenberg und Gessler tyrannisierten das Volk aufs Schrecklichste. Doch die Bewohner in Uri, Schwyz und Unterwalden sahen nicht bloss tatenlos zu: Drei Männer, Walter Fürst von Uri, Werner Stauffacher von Schwyz und Arnold Melchthal aus Unterwalden und zehn Freunde eines jeden versammelten sich auf dem Rütli und schworen, ihrem Vaterland die Freiheit zurückzuerobern. So entstand 1291 der Bund der Urkantone.
Gessler blieb das allgemeine Murren nicht unbekannt. Um den Keim des Missvergnügens irgendwo hervorspringen zu sehen, liess er auf dem Dorfplatz in Altdorf eine Stange aufrichten, auf deren Spitze ein Hut aufgesteckt war: Jeder sollte diesem Hut die gleiche Ehre erweisen, wie Gessler selbst und sich vor dem Hut verbeugen. So wollte er seinen Herrschaftsanspruch unterstreichen. Doch Wilhelm Tell, ein biederer Landsmann aus Bürglen, weigerte sich, dies zu tun. Darauf befahl ihm Gessler, er solle mit einem Pfeil seiner Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Sohnes Walter hinunterschiessen – oder sterben. Tell bestand die Probe und schoss den Apfel von Walterlis Kopf, ohne diesen zu verletzen.
Gessler bemerkte aber einen zweiten Pfeil in Tells Köcher, und auf die Frage, was das zu bedeuten habe, antwortete dieser: «Mit diesem Pfeil durchbohrt ich Euch, wenn ich mein liebes Kind getroffen hätte». Daraufhin lässt ihn Gessler binden und auf sein Schiff bringen. Auf See bricht aber ein fürchterlicher Sturm los. Die Ruderer erbitten bei Gessler die Hilfe Tells, welcher das Schiff sicher führt. Nahe am Ufer springt Tell plötzlich aus dem Schiff auf eine vorspringende Felsplatte, an dessen Stelle sich heute die Tellskapelle in Sisikon befindet, und entflieht über den Axenberg und der Rigi entlang nach Küssnacht, wo er seinem Feind Gessler in der Hohlen Gasse auflauert. An dieser Stelle erschiesst Tell mit einem Pfeil seiner Armbrust den Landvogt Gessler. Tells Taten wurden schnell im ganzen Land bekannt und stärkten die Bewegung für Freiheit und Unabhängigkeit in der Urschweiz.
Es gibt keine historisch gesicherten Quellen, die Tells Existenz beweisen. Tell ist eine Sagengestalt, die als Freiheitskämpfer und Tyrannenmörder im 13. und 14. Jahrhundert gelebt haben soll. Erstmals wird ein Mann namens «Thall» um 1470 im «Weissen Buch von Sarnen», ein Kopialbuch eines Obwaldner Landammans, und praktisch gleichzeitig, aber unabhängig davon, in einem Kriegslied aus der Zeit der Burgunderkriege erwähnt. Tellähnliche Typen gab es aber auch schon andernorts. Weltweite Berühmtheit erlangte der furchtlose und mutige Bergler als Titelfigur in Friedrich Schillers Drama «Wilhelm Tell» von 1804.
In der Schweiz gilt Wilhelm Tell schon seit dem 16. Jahrhundert als Nationalheld. Er prägte das Selbstbildnis der Schweizerinnen und Schweizer durch seine Einfachheit und seine Bescheidenheit, aber auch durch seine Tatkraft und seinen Freiheitswillen massgeblich mit. Gerade im 19. Jahrhundert war Tell als Mythos und als «Vater des Vaterlandes» sehr wichtig, um den 1848 neu geschaffenen Bundesstaat Schweiz zu festigen. Mit der Tellfigur auf dem Denkmal in Altdorf schaffte es Bildhauer Richard Kissling 1895, Tells Eigenschaften hervorragend bildlich festzuhalten.